23.08.2007

Strukturwandel

Ich lebe in einer Region, in der es früher rauchte und dampfte und schlotete. Wo die so genannte Montanindustrie den Menschen Arbeit, Sinn, Zuhause gab. Gut das mit dem Sinn, lässt sich diskutieren.

Sie werden es merken - ich meine das Ruhrgebiet. Eine Region die von Kohle und Stahl lebte. Freiherr vom Stein hat hier an jeder Ecke ein Denkmal. Und das nur weil er die preußische Wirtschaft revolutioniert haben soll. Sprich, durch Veränderungen der Gesetzgebung eine freie Marktwirtschaft nach englischem Vorbild eingeführt hat.

Der Doof.

Heute….also knapp über 200 Jahre nach dieser „Revolution von oben“ stehen nur noch rudimentäre Reste dieser Revolution in den Revierstädten und warten auf ihre Umwandlung in Gewerbeparks, Altersheime, Museen, Eventhallen.

Wenn sie durch das Ruhrgebiet fahren und abseits der schmucken, aber leider leicht fehlerhaften Industriedenkmalstour entlang der Ruhr und verschiedener Kanäle, mal genauer schauen, dann finden sie noch alte Reste von Fabrikhallen. Von ehemaligen Zechenbauten. Von Gaststätten die unverheiratete Gesellen beherbergten, bevor diese eine Frau und damit das Recht auf ein kleines Reihenhäuschen in der Bergmannssiedlung bekamen und ihren Schriftzügen von Biersorten längst vergangener Zeiten (Andreas Pils, Hammer und Schlägel Bier, etc.)

Und wenn sie diese Orte betreten, dann könnten sie -so sie nicht allzu abgestumpft sind- sich vorstellen wie hier jahrzehntelang sich Männer in Schweiß und Staub kaputt malocht (ruhr. f. –arbeiten-)haben.

Zu einer Zeit, als das Glück des einfachen Mannes noch vom Samstag und vom Schichtdienst bestimmt wurde.

Als die tauben Ohren vom Maschinenlärm kamen und nicht von MP3Playern.

Wenn ich so eine alte Werkshalle betrete, dann erfasst mich …doch es ist so…eine gewisse Form von Ehrfurcht. Ähnlich wie in alten Kirchen. Ohne nun besonders religiös zu sein.

Nehmen wir das ehemalige Hoeschgelände in Dortmund-Hoerde. Sie fahren auf ein Gelände welches einmal einen ganzen Stadtteil beherbergte. Heute wollen sie in Hoerde nur eins-schnell wegziehen und noch nicht mal tot überm Zaun hängen. Früher dagegen mussten sie als erste Hürde die Wachmänner an der Pforte überwinden.

Da ich Verwandtschaft im Osten habe, kann ich einen Vergleich zur ehemaligen Zonenkontrolle herziehen. Und die Unterschiede waren nur minimal. Dann fahren sie auf das Gelände und dort wo früher hunderte Autos parkten, wachsen nun Birken. Die Natur schickt immer schnell ihre Pioniere voraus um sich wiederzuholen, was ihr genommen wurde. In der Ecke sehen sie ein altes Werksfahrrad vor sich hinrosten. Und ich stelle mir vor, wer das da wohl vergessen hat. Was war sein Anlass, dieses Rad nicht mehr zu benutzen und es in der Ecke verrosten zu lassen. Welche Tätigkeit hatte der Benutzer dieses Rades?

Wie haben sich die Menschen gefühlt, als sie zum letzten Mal den mächtigen Demag-Kran über die Decke schweben sahen, der riesige Stahlplatten auf die Trennschweiss-Anlage hievte.

In dem Hallengebäude hängen der Metallstaub und der Rost in allen Ecken. Alte Verbotsschilder geben traurig Auskunft was die Arbeiter damals nicht mehr durften.

Wie viele sich wohl wirklich an den Hinweis der Gehörschutzbenutzung gehalten haben. Oder ob der Schmitz, der als Sicherheitsbeauftragter auf dem vergilbten Schild steht, noch lebt und gesund ist. Immer darunter die Nummer der Zentrale mit Anschrift und 4stelliger Postleitzahl.

In Bochum zum Beispiel haben Künstler ein altes kleines Stanzwerk weitestgehend benutzbar gemacht.

http://www.stanzwerk.net/

Bekannte hatten diese Räumlichkeiten für ihre Hochzeit gebucht.

Was mich beeindruckte war, dass die Räumlichkeiten komplett mit vorhandenen Maschinen und einzelnen Exponaten …oder sollte man Asservaten sagen.. versehen war, was den Geist dieses Gebäudes erhielt.

Die Gebäude hier an der Ruhr haben eigene Seelen. So scheint es zumindest. Auch wenn es gerade aus meinen Finger abgedreht erscheinen mag. Aber sobald sie diese Räumlichkeiten betreten, spüren sie Überbleibsel der Tage als hier Bier anstatt Champagner und Prosecco getrunken wurde. Als es nach Öl und Schweiß und heißem Eisen rocht, anstatt nach Chanel, Gucci, etc.

Als die Werkhalle mit derben Flüchen und Sprüchen durchsetzt war anstatt mit Jazzkonzerten oder Vernissagen mit kleinen Häppchen und dem Gemurmel von wichtigen –unwichtigen-interessanten-uninteressanten- Personen. Als die Luft voll mit Staub und Rauch und Dämpfen war, anstatt mit dem Qualm von Zigaretten und Zigarren.

Als es Stress gab in der Halle, weil Aufträge eingehalten werden mussten, anstatt Eröffnungen von Buffets und Bars.

Mittlerweile zieht die ehemalige Industrielandschaft die Kunst nach sich. Aber viel zu oft sorgt die Kunst dafür, dass der Geist verloren geht. Die Seele des Gebäudes, die sich aus Generationen von Arbeitern gebildet hat.

Und die Seele stirbt, wenn diese Gebäude in ein Museum wandern. Die Gebäude des technischen Freilichtmuseums Hagen, zum Beispiel, sind hochinteressant und die Events die dort stattfinden immer wieder einen Besuch wert (es gab eine Zeit, dass war ich einmal im Jahr dort) aber ihnen wurde die Seele entrissen, als man sie abbaute und in dem Reservat wieder aufbaute.

Vielleicht kommen sie ja mal durch das Ruhrgebiet und haben Zeit sich an einigen Orten etwas Geschichte zu gönnen, dann können sie eventuell verstehen, was ich meine.

Früher hatte diese Region noch eine Seele. Ihre Menschen einte die harte Arbeit. Hier fand jede Bildungsschicht ihr Auskommen. Die heutigen ehemaligen Arbeiter (also die ungelernten, aber hart zupackenden Arbeiter) sind die Verlierer des so genannten Strukturwandels. Eines Wandels von der Leistung zur Dienstleistung. Vom Stahl zum Fernsprecher sozusagen.

Nirgendwo in Deutschland ist die Dichte der Call-Center so hoch wie hier, scheint es mir.

Hier darf man sich aussuchen, ob man von Hartz4 oder von Callcenter4 leben will. Mehr Geld gibt es seltener.

Es geht langsam aber stetig wieder bergauf. Die Chemie und die Biotechnologie haben das Ruhrgebiet aufgrund ihrer Infrastruktur entdeckt. Die Dienstleister erst recht. Haben sie hier doch genügend menschliche Ressourcen zum Verschwenden. Auch hiermit ziehen wir mit den Engländern gleich, nachdem wir erst ihre Industrialisierung übernommen haben. Selbst im Ruhri hat sich der Strukturwandel vollzogen. Viele ehemalige Arbeiterkinder wollen heute Hartz4 lernen und halten den Trip für 200€ nach Malle an El Asozial oder Calla Rattada für Deutschlandurlaub.

Obwohl…

Der Ruhri hat’s schon immer mit Humor genommen. Eine bisschen Fatalismus und schwarzer Humor ist ihm genauso zu Eigen wie dem Engländer, von dem wir ja die ganze Stahl/Kohleklamotte übernommen haben. Nicht umsonst kommen die meisten Comedians aus dem Ruhrgebiet bzw. NRW.

An dieser Stelle darf man die Rheinländer, das verfilzende Pack, ruhig auch mal nennen.

Scherz!!!! Ich mag den Kölner Karneval und die Mädels aus Düsseldorf. Wenn das Bier wenigstens schmecken würde.

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